Kritik zu Netze (Theater Zenobia) von Esther Spiegel


Sophie Ammann (Foto: Concetta Quattrocchi)

(Weg)gehen

migrare (lat.) bedeutet wandern. Im Anschluss an die Lesewanderung, einem Programmpunkt des Theaterfestivals, gelang es der Gruppe Zenobia am dritten Festivaltag mit dem Stück Netze das luaga (vlbg.) schauen und losna (vlbg.) zuhören mit innerer Bewegung zu verbinden.

Frauen, die dieses Wandern gelebt haben gibt Schauspielerin Sophie Amann eine Stimme. Die netzartig zusammengeknüpften Erzählfäden verbinden sich mit Cellotönen von Rachel Maio. Es ist ein vielstimmiges Sprechen, dem die beiden Künstlerinnen in ihrem Zusammenspiel Resonanz - Raum geben.
Sie machen dies mit großer Offenheit und Feingefühl. „Ich stelle mir vor, ein Hohlkörper, ein Medium zu sein“, berichtet Sophie Amann in der Diskussion nach der Vorstellung. „The music is an inner voice“, sagt Rachel Maio. Diese Innerlichkeit war in ihrem Spiel zu hören. 
„Wir. wir. wir. warten.“ Damit beginnt das Stück. Die Regisseurin Veronica Compangnone formte dieses Warten in Worte. Sie recherchierte und sammelte Fragmente von Fluchtgeschichten, die auf der Bühne wiedergegeben wurden. Rachel Maio komponierte jeweils ein Stück zu den Geschichten. 
Am Boden der Bühne lag ein Netz, in welches Sophie Amann anfangs eingewickelt ist. Das Bild des Netzes hat eine starke metaphorische Bedeutung. Es steht für Erinnerung, Gefangenheit, aber auch für Anknüpfungsmöglichkeit neuer Beziehungen, die in neue Erzählungen führen würden.
Die Regisseurin verwendet das Netz für den „Erdweg“, den ersten Teil des Stückes. Das Material könnte auch im zweiten Teil, dem „Wasserweg“ noch ausgeschöpft werden.
Das Weglassen der poetischen Papier - Bilder, mit denen jener Teil gestaltet war, wäre allerdings schade. Einmal geht Sophie Amann auf diesem unbeschriebenen Weiß, dann faltet sie ein viel zu fragiles Schiff, das unter Menschenlast zusammenbricht und sie zerreißt das Papier. 
textere (lat.) bedeutet weben. Textilien – die Kleidungsstücke der Frauen – verbanden das Netz mit dem Papier, sie waren Erzählstoff und die Handlung des Aufhängens der Kleider diente zum Auseinanderhalten der einzelnen Fluchtgeschichten.
Das Thema „Unterwegssein“ wird in der Inszenierung auch durch Bewegungselemente gestalterisch umgesetzt. Sophie Amann nutzt den Raum der Bühne, sie geht, rollt, dreht sich, einmal balanciert sie eine Kleiderstange auf ihrem Rücken. Die Bewegungsformen sind häufig ein Vor und Zurück oder Drehbewegungen. 
Sophie Amann fesselt die Zuschauer mit ihrer starken Ausstrahlung und Bühnenpräsenz. Besonders die zarten Dialoge zwischen Ton, Bild, Bewegung und Wort lassen Spannung entstehen. Vielstimmig und mannigfaltig wird diese „Odyssee aus einer weiblichen Perspektive“ im Stück Netze erzählt und gibt den Zuschauern, egal in welche Identitätskategorien passend, Fragen mit: "Warum gehen wir?" und "Wohin gehen wir?"

Beliebte Posts